17. November 2011 · Kommentare deaktiviert für Wie ein Lehrer zum „Johnny“ wird · Kategorien: Pressespiegel

Projekt mit Praktika für Pädagogen in der Produktion eröffnet ganz neue Einblicke in den Berufsalltag

Er durfte nicht nur zusehen, sondern er hat richtig mitgeschafft – mit Hautschutz, Ohrenschutz, Augenschutz. „Es war toll zu sehen, wie das ist, acht Stunden an einer Maschine zu stehen, den Lärm auszuhalten, wirklich tausendprozentig funktionieren zu müssen“, blickte Andreas Lima zurück und bangte ein bisschen: „Hoffentlich fahren die Dinger noch.“ Vier Tage lang hat Lima, sonst Lehrer einer Werkrealschule, nämlich Traktoren bei John Deere mitproduziert – als Teilnehmer des von den Wirtschaftsjunioren Mannheim-Ludwigshafen initiierten Bildungsprojekts „Lehrerpraktikum“.

Lima war, wie er sagte, komplett eingekleidet im grünen Arbeitsanzug, „ein richtiger Johnny“, wie sich die John-Deere-Mitarbeiter nennen. Nach den vier Tagen in der Frühschicht kann er nun seinen Schülern genau erzählen, was sie tun müssen, um Industriemechaniker zu werden: „Das war eine Erfahrung wert, jetzt kann ich richtig mit den Schülern darüber reden“, zieht er eine ebenso positive Bilanz des Praktikums wie Dieter Wachenfeld von der Ausbildungsleitung von John Deere: „Auch unser Eindruck ist durchweg positiv“, so Wachenfeld: „Wir öffnen gerne Lehrern die Türen und finden das eine supertolle Initiative.“

Mit Landespreis ausgezeichnet

Sie geht zurück auf den Arbeitskreis „Bildung und Wirtschaft“ der Wirtschaftsjunioren. „Wir wollen damit möglichst praxisnahes Wissen über die Anforderungen im beruflichen Alltag vermitteln, um den Übergang von der Schule in den Beruf leichter zu machen und letztlich beide Seiten, Schulabgänger wie Unternehmen, unterstützen“, so Andreas Ritter, der Arbeitskreisleiter.

Zunächst hatte der Arbeitskreis vorwiegend Schülerpraktika vermittelt. Aus der Werkrealschule Unterer Neckar kam dann der Gedanke, ob man auch Lehrern Einblicke in die Firmen ermöglichen könnte. Das griffen die Wirtschaftsjunioren sehr gerne auf, „denn so erfahren die Lehrer direkt, was ihre Schüler später in den Betrieben erwartet“, so Ritter, was der besseren Vorbereitung auf den Berufseinstieg diene. Oft beklagten Ausbilder in Unternehmen, Schulabgänger seien nicht ausreichend auf die Ausbildung vorbereitet und hätten keine Vorstellung vom Arbeitsalltag. Da seien Praktika für Lehrer der richtige Ansatz, meint Ritter. „Mein Vater ist selbst Lehrer, der weiß auch nicht, was die Industrie will, deshalb ist das ein guter Ansatz“, lobt Holger Kaufmann, Landesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren Baden-Württemberg, der das Bildungsprojekt „Lehrerpraktikum“ mit dem Landespreis der Wirtschaftsjunioren auszeichnete.

Viel authentischer

Denn nicht nur Lehrer Lima betrat eine neue Welt, als er sich zum „Johnny“ wandelte. „Ich habe geschweißt, ich habe gehämmert, mein Kopf hat geraucht, als es um Elektrotechnik ging, aber es hat Spaß gemacht“, schildert Lehrerin Angelika Scherb ihre Erfahrungen nach fünf Tagen bei der MVV Energie AG. Sie habe „Einblicke gekriegt, was ein Konzern so macht – und gemerkt, dass ich mich gar nicht auskenne“.

Auch ihr Kollege Sebastian Beilharz hat „gemerkt, wie wenig qualifiziert wir Lehrer in Sachen Berufswelt sind“. Er fand es „beeindruckend zu sehen, wie so ein Laden läuft“, bilanziert er seine fünf Tage bei der Mannheimer Spedition Neska. „Ein Lehrer, der immer nur vor der Klasse steht, kann viel erzählen über das Berufsleben – ihm fehlt die Authentizität“, ist auch Johannes Pöckler sehr zufrieden mit seiner Zeit bei den Pfalzwerken.

„Er war bei uns sofort integriert“, so Siegfried Gleich von der Ausbildungsabteilung der Pfalzwerke. „Es ist ja auch für uns später bei der Ausbildung hilfreich, wenn Lehrer früh authentische Eindrücke haben“, ergänzt Hans-Joachim Mayer von der Ausbildungsabteilung der MVV, dass er „sehr gerne“ dieses Projekt unterstützt habe. „Wir können das nur uneingeschränkt befürworten, denn Lehrer spielen bei der Berufswahlentscheidung eine wichtige Rolle“, fasst Jürgen Mohrhardt, Bereichsleiter Berufsbildung der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar (IHK), zufrieden zusammen; seine Kollegin Cordula Häde will es in die Pfalz ausweiten. Allerdings machen Lehrer wie Firmenvertreter schnell deutlich, dass das Projekt ein Anfang sei, der ausgedehnt werden müsse: „Aus dem Praktikum müssten Praktika werden, denn das Arbeitsleben ändert sich so schnell, da reicht es nicht, so etwas einmalig zu machen“, gibt ein Unternehmer zu bedenken. (Quelle: Peter W. Ragge, Mannheimer Morgen)

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