26. Juni 2024 · Kommentare deaktiviert für „Es war die Hölle auf Erden“ – eine Erinnerungen an Zwangsarbeiter · Kategorien: Pressespiegel

Für die Inszenierung von Schülern der Werkrealschule gab es stehende Ovationen der Zuschauer.

„Wow“, entfuhr es Thomas Schneider. Danach brauchte der Schulleiter der Werkrealschule Unterer Neckar lange, bevor er die nächsten Worte fand. Ehe er jetzt auf der Bühne stand, hatte er der berührenden Vorstellung einer Arbeitsgemeinschaft seiner Schule beigewohnt. Die neun Schülerinnen und Schüler hatten in einer eindrucksvollen Inszenierung die Geschichten von Zwangsarbeitern des Daimler-Benz-Werks in Sandhofen erzählt. Teils als Nachzeichnen des Lebenslaufs, teils in den Worten, in denen die Überlebenden ihre Geschichte später selbst erinnerten.

Die szenische Lesung stand in direktem Zusammenhang zur Campusausstellung „Gegen das Vergessen“. Sie zeigte Porträts von Holocaustüberlebenden. Porträts, die der Mannheimer Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano gemacht hat, und der neben den Fotos auch die Geschichten aufgenommen hat. Toscano hatte sein Projekt einst mit den Bildern der Zwangsarbeiter begonnen, die zu Beginn der 1940er-Jahre im KZ Sandhofen untergebracht waren. Fünf von ihnen standen im Mittelpunkt der Lesung von Ilias Barzizoui, Megan Fiory, Marlon Müller, Luzie Orth, Havin Polat, Mohamed Rasoul, Luca Schindler, Finn Seemann und Max Ziegler.

Die von ihnen gewählte Dramaturgie des Abends, den sie zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern ausgearbeitet hatten, war so bedrückend wie die Geschichten. Die städtische Turnhalle blieb dunkel, „Old Polish Tango“, ein zeitgenössisches Musikstück, leitete die szenische Lesung ein.

Die Lesenden standen dann mal als Quartett, mal als Duo auf der Bühne. Im Hintergrund: Leinwände mit den Porträts der Überlebenden. Die, die sie einst waren. Die, die sie später sein sollten. Und dazwischen Zeichnungen. In schwarz-weiß zu sehen der Appell auf dem Schulhof, der kilometerlange Marsch vom KZ zum Werk, oder auch die Hinrichtung eines KZ-Häftlings, der Strick um seinen Hals an einem Baum befestigt, die Füße auf einem Stuhl, der fallen sollte. Es waren Zeichnungen eines Mithäftlings; Zeichnungen als Überlieferung des Grauens. „Es war die Hölle auf Erden“, hieß es irgendwann in der Lesung.

Die Geschichten der Zwangsarbeiter begannen alle in Polen. Hier wurden sie geboren – und später nach Deutschland verschleppt. Sie überlebten nicht nur Sandhofen und die Repressalien der Nazis. Auch Dachau, Buchenwald und spätere Todesmärsche standen in ihren Biografien. Was sie am Leben hielt? „Ein unerschütterlicher Glaube und unsere Familien“, zitierten die Schüler Boleslaw Urbanski, der eben diese Worte anlässlich einer Gedenkfeier 2017 in Sandhofen sagte. Das Leid, die Schikanen, sie spielten sich nicht fern der Sandhofener ab, sondern mitten unter ihnen.

Das KZ war in der Friedrichschule untergebracht, also im Ortszentrum. Die Bevölkerung war nicht selten Teil der Grausamkeit. Auch das wurde aus der Lesung deutlich. Umso schwerer wog der Schlussappell von Havin Polat, die sagte: „Menschlich bleiben, auch wenn es schwerfällt. Nicht mitmachen, wenn andere ausgegrenzt werden und Andersartigkeit nicht sofort negativ sehen. Das ist unsere Verantwortung.“ Die stehenden Ovationen der Zuschauer, unter denen auch Bürgermeister Stefan Schmutz und Luigi Toscano waren, hatte sich die Arbeitsgemeinschaft wahrlich verdient.

Die Schülerinnen und Schüler seien bereit gewesen, sich mit einem komplexen und sperrigen Thema auseinanderzusetzen, sagte Schneider. „Seit einem Jahr engagiert ihr euch für dieses Projekt“, lobte er.

Das Ziel sei von Beginn an gewesen, die Porträts der Holocaustüberlebenden lebendig werden zu lassen. „Das ist euch beeindruckend gelungen“, konstatierte der sichtlich emotionale Schulleiter, der in Anbetracht der Geschehnisse damals und dem aufkeimenden Nationalismus heute nochmals die Worte Polats bekräftigte, als er sagte: „Es ist unser aller Verantwortung. Hier. Heute. Für immer.“ (Quelle Text: Christina Schäfer, Rhein Neckar Zeitung, Quelle Bild: WRS Unterer Neckar, Online-Redaktion)

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